Hallo alle zusammen,
der erste Sommer in Merced liegt hinter mir. Sommer bedeutet von Mitte Mai bis Ende August keine Kurse, sondern Vollzeit an meinen Forschungsprojekten arbeiten. Fuer mich bedeutet es, erst einmal fuer drei Wochen mit Patrick nach Deutschland zu Lenas Hochzeit zu fliegen und dann noch ein paar Tage in Dresden, Berlin in Wroclav in Polen zu verbringen. Meine Motivation, einen kleinen Abstecher ueber die Grenze zu machen, war auch nicht so ganz uneigennuetz, da ich Patrick zeigen wollte, wie schoen es sein kann, keine Grenzkontrollen in Europa zu haben.
Von Berlin aus ging es fuer Patrick dann wieder nach Sacramento um Schlagzeug zu spielen, waehrend ich ein paar Tage spaeter nach Pittsburgh im Nordosten der USA geflogen bin. Warum? Ich durfte auf einer Konferenz zwei 10-Minuten-Vortraege halten. Ein Vortrag ueber mein LCA Projekt und den anderen ueber meine Literaturrecherche zu den Problemen der Infrastrukturplanung im Angesicht des Klimawandels. Als Bonus ist Pittsburgh einen total schoene Stadt und ich konnte mir abends mit ein paar anderen Doktoranden ein paar Sehenswuerdigkeiten angucken und gut essen gehen.
Zurueck in Merced habe ich mich dann sofort in meine Sommerarbeit, einen publizierbaren Artikel ueber meine Recherche zu schreiben, gestuerzt. Bei 40 Grad Hitze jeden Tag ueber vier Wochen konnte ich draussen sowieso nix unternehmen.
Den einzigen kleinen Urlaub den wir hatten war, als wir fuer ein Wochenende nach Mammoth Lakes auf der Ostseite der Sierra Nevada gefahren sind. Patrick hatte da zwei Auftritte in einer Bar und wir haben auf dem Weg ein paar Hotsprings und coole Steinsaulen besucht. Die Steinsaeulen sind durch kochendes Wasser waehrend vulkanischer Aktivitaet entstanden, das hochgekocht ist und so etwas wie Ventile im sandigen Boden entstehen liess. Diese sind dann auf Grund des Wasserdampfes oder so fest geworden und als vor ein paar Jahrzehnten der Stausee gebaut wurde, haben Wellen die Saeulen dann freigewaschen.
Zum 1. August sind Patrick und ich auch umgezogen, nicht in das Zimmer, das wir uns urspruenglich ausgesucht hatten, sondern zu Freunden von mir in eine WG. Deren Vermieter laesst nur Doktoranden in dem Haus wohnen, und Ashwin und Maeve hatten grosse Probleme, jemanden zu finden. Fuer mich ist das allerdings viel besser, denn Patrick hat jetzt einen fast Vollzeit Job als Licht- und Ton-Techniker in Sacramento und ist deshalb unter der Woche gar nicht in Merced. So bin ich nicht allein und wir zahlen ein kleines bisschen weniger Miete.
Ansonsten laesst sich nicht viel erzaehlen. Ich bin im Sommer in der Gewerkschaft aktiv geworden. Doktoranden in den USA werden als Studierende behandelt, obwohl wir einen grossen Anteil der Arbeit an Forschungsprojekten und Lehre tragen. Oftmals haben wir nur Arbeitsvertraege ueber ein Semester, kein Einkommen in den 3 Sommermonaten und werden nur 25% bis 50% angestellt. In der Realitaet arbeiten wir aber mehr, da unsere Forschung und die Dissertation ja auch die Uni weiterbringt und man den Bachelorstudies oft mehr hilft als man bezahlt wird. Die 9 Universitaeten, die zur University of California gehoeren (UC Los Angeles, UC San Francisco etc. und auch UC Merced) werden von den United Auto Workers (UAW) vertreten. Das A in UAW steht jetzt auch fuer Academics, Aerospace und Agricultural, so aehnlich wie ver.di auch fuer mehrere Branchen eintritt. Auf jeden Fall gibt es 3 Untergruppen von UAW. Die Doktoranden als Dozenten (Academic Student Employees, oder auch Teaching Assistants) sind UAW 2865, die Doktoranden, die ueber Forschung und Dritmittel oder interne Stipendien bezahlt werden sind UAW SRU (student researchers united) und die Postdoktoranden sind UAW 5810.
Wenn man an der UC als PhD student arbeitet, ist man automatisch Mitglied in der Gewerkschaft in dem Sinne, dass man von ihr bei Problem vertreten werden kann. Beitraege bezahlen tun im Moment nur die UAW 2865 Teaching Assistants und UAW 5810 Postdocs (1.44% von Gehalt = $36/Monat fuer mich), da UAW SRU sich erst letzes Jahr gegruendet hat. Die Gruppen fuer mich relevant: UAW 2865 – die Dozenten und UAW SRU – die Forscher. Diese Semester werde ich halb und halb bezahlt, mit einer 25% Stelle als TA und einer 24.9% Stelle als Researcher. Nun fragt ihr euch, warum 24.9% – das liegt daran, dass die SRUs sich erst letzten Jahr gegrundet haben und deshalb noch keinen ‚Tarifvertrag‘ haben. TAs werden mit 50% und Reserachers mit 49.8% bezahlt, weil ab 50% naemlich bestimmte Leistungen und Zuzahlungen zu Kinderbetreuung etc. gezahlt werden muessen. Willkommen im ungezuegelten Kapitalismus.
Unser Tarifvertrag (UAW 2865) lief im Juni aus und ist gerade in einer Notfallverlaengerung. Momentan sind wir deshalb in Tarifverhandlungen mit der gesamten University of California (UC). Unser monatliches Gehalt betraegt $2500 vor Steuern ($2200 danach) – allerdings nur 9 Monate im Jahr garantiert, wir haben Krankenversicherung und eine maximale Anzahl unbezahlter Ueberstunden und ein paar Peanuts wie $1500 pro Semester fuer Kinderbetreuung und einen Tag bezahlten Urlaub fuer Termine zwecks Visumerneuerung. Die Monatsmiete fuer eine Einzimmerwohnung ist meist unbezahlbar, der Durchschnitt in Kalifornien liegt bei $1700 im Monat, und die groesseren Staedte die eine Uni haben liegen auf jeden Fall ueber dem Durchschnitt. Nimmt man die Inflation von ca 9% diese Jahr dazu (plus Merceds Mieterhoehungen von 15% bis 20%, wir sind aber ein Sonderfall), ist das Angebot von der Uni mit 5% Gehaltserhoehung einfach unverschaemt. Vor allem wenn unsere Uni-Kanzler krasse Erhoehungen diese Jahr bekommen haben (einer sogar mehr als $100.000 pro Jahr, wenn er schon fast eine halbe Millionen hat, ich meine WTF – das ist eine Gehaltserhoehung des 4-fachen meines Jahresgehalts). Waehrenddessen muessen Freunde von mir einen Kredit aufnehmen, um ihre Miete zu bezahlen, andere Internationals koennen zu Weihnachten nicht nach Hause fliegen und ein Postdokterandin im 7. Monat schwanger, wurde nicht weiter beschaeftigt nachdem sie sich uber unethische Laborpraktiken beschwert hat. Manche Doktoranden in San Fransicso bezahlen sogar bis zu 80% ihres Gehaltes fuer Miete und muessen sich ihr Essen bei der Tafel holen.
Wie dem auch sei, wenn wir nicht ein ordentliches Angebot von der Uni bekommen, werden wir im November streiken. Und dafuer brauchen wir viele Mitglieder. Als Europaeerin habe ich ja etwas Erfahrung mit Gewerkschaften (z. Bsp. von meinem Baustellenpraktikum, oder diversen Zugausfaellen) und habe mich freiwillig fuer die Strike Working Group gemeldet. Dadurch, dass unser Arbeit ja gleichzeitig uns selbst weiterbringt (Forschungsprojekte sind oft auch teil unserer Dissertation) und wir bei einem Streik die Bildung unserer Studis nicht vernachlaessigen wollen (die koennen ja nix dafuer und bezahlen ja viel Geld fuer eine Universitatsausbilding), wird streiken schwierig, vor allem ueber einen laengeren Zeitraum. In der Strike Working Group versuchen wir Strategien zu finden, wie wir moeglichst viel Druck auf die Verwaltung ausueben koennen, ohne den Studenten und uns selbst zu schaden. Zum Beispiel Experiment noch durchfuehren und Klausuren kontrollieren, aber die Daten und Noten so lange zurueckzuhalten, bis die Uni uns ein gutes Angebot macht.
Wer sich ein bisschen mehr interessiert, hier ein paar Links (leider alles Englisch).
Praesentation, die wir letzte Woche fuer alle neuen Doktoranden und Masterstudis gehalten haben
UAW action for a postdoc in San Diego